22
Aug
2008

22.08.08

Welchen Bedingungen war der Zugang von Frauen im öffentlichen Raum unterworfen? Barbara Belisak geht dieser Frage in ihrer Diplomarbeit „Lasst uns das Wort ergreifen, lasst uns handeln…Das politische Agieren der Frauen in der Französischen Revolution zwischen 1789 und 1795. (Wien 1999), nach. Figuren von Frauen waren meist Allegorien, Mütter oder Jungfrauen, die wallende Gewänder trugen, die in antiken Gesellschaften Keuschheit symbolisierten. Das Verhältnis zur Weiblichkeit war während der Revolution ein äußerst ambivalentes, einerseits wurde die aktive Rolle der Frau betont und hervorgehoben, die Frau als egalitäres Mitglied der Gesellschaft, die eine wichtige Rolle für das Gelingen der Revolution spielte, gewürdigt, andererseits widersprach der egalitäre Ansatz absolut der neuen „natürlichen“ Ordnung, der das klassische Familienmodell zugrunde lag. Die Frau wurde darin auf die Reproduktionsrolle reduziert, die sich der männlichen Autorität und dem männlichen Schutz zu unterstellen hatte. Bildung für Frauen wurde als überflüssig angesehen, wiewohl viele Frauen und Frauenvereine eine umfassende Bildung und Erziehung von Frauen forderten, denn wie Madame Mouret in ihren „Annales de lèducation du sexe“ forderte, sei eine umfassende öffentlich organisierte Erziehung mit politischem Schwerpunkt unerlässlich, denn nur so könnten Frauen ihren Aufgaben in der Familie und der Gesellschaft nachkommen. Sie forderte sogar den Zugang zu einer akademischen Karriere. In den ersten Jahren der Revolution wurde ein allgemeiner, kostenloser Elementarunterricht für Mädchen gefordert, um politisch mündige Bürgerinnen heranzuziehen. Der Analphabetismus lag bei 80 Prozent. Trotzdem wurde die allgemeine Schulpflicht bald wieder abgeschafft. Vor allem die revolutionären Republikanerinnen stellten politische Forderungen, insbesondere das Bürgerrecht für Frauen. Olympe de Gouges kämpfte ebenfalls für die gleichen Bürgerrechte und Bürgerpflichten. Als 1793 das tragen der Kokarde auch für Frauen verpflichtend vorgeschrieben wurde, glaubten viele von ihnen an eine Aufwertung ihres Status als Bürgerin. Diese Hoffnung sollte sich als trügerisch erweisen, denn bereits 1793 wurden alle Frauenklubs und Frauenversammlungen wieder verboten.
Am 24. Mai 1795 wurde der Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Bereich per Dekret besiegelt. Den Frauen wurde vorgeschrieben, nach Hause zurückzukehren und über politische Ereignisse zu schweigen.
Die Symbolik sollte die neue Ordnung repräsentieren, die als ein Ergebnis der Ordnung der Natur hervorging. Die weibliche Biologie wurde mit der Natur gleichgesetzt, der weibliche Körper stand als Zeichen für die Ordnung und Verwirklichung der Natur in der neuen Gesellschaft. Frauen wurden aus dem öffentlichen Raum verbannt, sie sollten sich wieder ihrer „natürliche“ Bestimmung besinnen, Kinder zu gebären und den Haushalt zu führen. Dass viele Frauen arbeiten mussten, um ihre Familien zu ernähren, und somit ihrer „ureigenen Bestimmung“ nur in beschränktem Ausmaß nachkommen konnten, wurde außer Acht gelassen. Die Utopie einer Gesellschaft in der „Feiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“ für alle Mitglieder dieser Gesellschaft gleichermaßen Gültigkeit hätte, wurde begraben. Es sollte noch lange dauern, bis Frauen wenigstens das Recht auf Bildung und politischer Partizipation zugesprochen wurde.

17
Aug
2008

03.August 08

Zwischen Place des Vosges und Place Vendôme, ebenso räumlich wie zeitlich betrachtet, liegt ein dritter Freiraum, der Innenhof des Palais Royal. Von diesem Riesenbau, den Kardinal Richelieu sich selbst in nächster Nähe des Königsschlosses errichtete, ist nur eine Galerie an der Ostseite erhalten. Der Rest fiel im Jahre 1871 dem Aufstand der Kommune zum Opfer und wurde danach recht und schlecht rekonstruiert.
Kardinal Richelieu erbaute das ursprünglich Palais Cardinal genannte Palais Royal als Wohnhaus. Die alten Stadtmauern, die Karl V. erbaut hatte, wurden geschliffen, der mächtige Minister Richelieu ließ sich ein großes Areal zuteilen, kaufte angrenzende Ländereien dazu, die zu einem großen rechteckigen Garten ausgebaut wurden und ließ sich seinen Wohnsitz errichten, gegenüber dem Louvre, in dem der königliche Hof untergebracht war. Von dem ursprünglichen Gebäude ist nur mehr eine Galerie vorhanden, die noch immer von Fachreliefs geschmückt wird, die Schiffsschnäbel und –anker darstellen. Diese sollten an Richelieus einstige Position als Oberintendant der Seefahrt unter Ludwig XIII. erinnern. Nach dem Abbruch der Umwallungen wurde das gesamte Viertel hinter dem Areal des Kardinals erneuert. Erst 1633 wurde das Wohnhaus von dem Architekten Lemercier in einen prunkvollen Palast umgebaut, der Stilmerkmale des Barock, aber auch Palladios und der Renaissance aufwies. Das ursprüngliche Gebäude stand an dem Ort, an dem heute der Conseil d`Etat untergebracht ist. Der Garten wurde von Desgots, dem königlichen Gärtner, zur größten Gartenanlage in Paris gestaltet. Im Westen des Palastes wurde eine große Straße angelegt, die nach Richelieu benannt wurde. 1641 wurde innerhalb des Palastes ein Theatersaal eröffnet, der zum Schauspielhaus Molieres werden sollte.
Der Kardinal vermachte das Palais bereits vor seinem Tode Ludwig XIII, nach dessen Tod bezog Anna von Österreich mit ihrem kleinen Sohn Ludwig XIV. selbiges. Da die Sicherheit der königlichen Familie während der Aufstände der Fronde nicht ausreichend gewährleistet war, übersiedelte Anna von Österreich in den Louvre. Ludwig XIV. vermachte das Palais seinem Bruder, dem Herzog von Orleans und dessen männlicher Nachfolge.
Mit dem Bau von Versailles verlor das Palais vorerst seine Bedeutung und ging in den Besitz der Herzöge von Orleans. Philippe II. d`Orleans ergriff für den minderjährigen Ludwig XV. für acht Jahre lang die Macht. Er bewohnte das Palais, das für seine sehr große Kunstsammlung berühmt war, und gab legendäre Abendgesellschaften. Er ließ die Inneneinrichtung im Geschmack der Zeit kostspielig und prachtvoll erneuern und frönte nächtens seinen Lastern. Der Ruf von Liberalität, Libertinität und Verschwendung blieb bis nach dem Tod des Regenten am Palais Royal haften.
Philippe, Herzog von Chartres, der sich später Philippe Egalitè nennen wird, gestaltete das Palais nochmals radikal um. Durch seine liberale Einstellung wurde das Palais einer öffentlichen Nutzung zugeführt. Er spielte eine wichtige Rolle in der Revolution. Da er einen sehr verschwenderischen und aufwändigen Lebenswandel führte, litt er unter permanter Geldnot. Aus dieser Not entstand die Idee, die Anlage durch Verpachtung wirtschaftlich zu vermarkten. Galerien wurden angelegt, der Garten zum großen Teil abgeholzt und stark verändert. Er ließ eine große Häuserzeile für Pächter anlegen, in deren Untergeschoßen Geschäftslokale Platz fanden, während die Obergeschoße zu Wohnzwecken verwendet wurden.
Der Park des Palais Royal wurde öffentlich zugänglich gemacht und sowohl von der Aristokratie, wie von den Bürgern, als auch vom einfachen Volk frequentiert. Er wurde zum Treffpunkt der Künstler, der leichten Mädchen, der Intellektuellen. Die Polizei hatte keinen Zugang zum herzöglichen Terrain, was zur Freizügigkeit der Sitten beitrug. Das Palais Royal wurde „..für ein halbes Jahrhundert so etwas wie die Agora, das Forum von Paris“ ( Hazan, S 32) und sein Ruhm verbreitete sich über ganz Europa.
„Und nun erfüllte dieser Innenhof, der die meisten Pariser Plätze räumlich weit übertrifft, die Funktion des ursprünglichen Stadtplatzes mit überraschender Vollkommenheit. In den hier untergebrachten Clubs, Spiel- und Kaffeehäusern traf sich tout Paris im Gespräch. Die stadtbürgerliche Kommunikation funktionierte wie in der besten Zeit. Hier wuchs die Revolution heran, und hier brach sie aus. Hier warteten die großen Akteure von Frankreichs Geschichte auf die Minute ihres Auftritts.“ ( Denise Engel, Das Palais Royal in der Französischen Revolution).
Das Palais wurde zu einer kleinen luxuriösen Stadt innerhalb der großen Stadt. Ein Tempel der Wolllust, aus dem die Tugend vertrieben worden war. Ein Vergnügungslokal, das auf höchst anmutige Art und Weise moralisch verkommen war (Hazan, S 33). Die Zahl der Klubs nahm zu, das Palais wurde zum Versammlungsort und Freiheitsraum der Bürger während der großen Revolution. Es trafen sich in den verschiedenen Klubs sowohl Revolutionäre, als auch Royalisten, und Republikaner.

Das berühmte Cafe de Foy war ein bekannter Treffpunkt, in dem revolutionäre Ideen diskutiert wurden. Camille Desmoulins hielt dort seine berühmte Rede, die zum Sturm auf die Bastille führen sollte.
Philippe Egalitè, der Mitglied des Konvents war, wurde später am Schafott hingerichtet.

1830 bestieg Louis-Philippe, der Sohn Philippe-Egalitès den Thron und nahm sich des Palais an. Er ließ es restaurieren. Eine neue Säulengalerie wurde im Süden angebaut. 1837 wurden die Spielhöllen verboten und die Prostitution untersagt. Damit endete die freizügige und ausschweifende Ära des Palais Royal.
1871 versuchte die Kommune sich der Bauten zu bemächtigen. Der Pavillon de Valois und die Ostseite wurden ein Opfer der Flammen.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts befindet sich im östlichen Flügel des Palastes der Conseil d`Etat. Der Garten ist heute eine Oase der Ruhe und des Friedens inmitten der großstädtischen Hektik.

1
Aug
2008

27.07.08

27.07.08



Auf der Suche nach den Frauen der Revolution fällt als gemeinsamer Nenner vor allem das Schafott ins Auge. Olympe de Gouges, Madame Roland, Lucille Desmoulins, Charlotte Corday, Madame de Condorcet, Madame Bouquey wurden alle auf dem Schafott hingerichtet. Die Enthauptung wurde auf öffentlichen Plätzen vollzogen. Der öffentliche Charakter sollte das Volk abschrecken, Verbrechen zu begehen, die Autorität der Regierung demonstrieren und gleichzeitig eine Art Unterhaltung für die breite Masse sein. Schaffotieren war ein wichtiges Ritual zur Abschreckung von unerwünschtem Verhalten und zur Demonstration von Macht.
Rituale der Macht hatten während der französischen Revolution noch eine ungleich größere Bedeutung für die Menschen als heute. Rituale waren wie dramatische Schauspiele, die wie auf einer Bühne vollzogen wurden, feierlich herausgehoben aus dem alltäglichen Leben, zur Demonstration von Macht, zur Erbauung und Erziehung des Volkes. Rituale inszenierten die Ordnung der Gesellschaft, bekräftigten die Zusammengehörigkeit der Mitglieder einer Gesellschaft und begründeten Rechte und Pflichten. Während der Transformation von höfischer zur bürgerlichen Gesellschaft, veränderten sich auch die Formen der Rituale. Die Französischen Revolution erschuf eine neue politische Kultur, die sich in neuen Ritualen und Symbolen ausdrückte. Die Revolution musste die alten Zeichen entmachten und die neuen politischen Werte in neuen Symbolen und Zeichen kommunizieren. Traditionelle Formen wurden umgedeutet, in andere Kontexte gestellt, dekonstruiert. Die dominanten Ideen wurden in äußeren Zeichen transportiert. Überall, vom Plakat bis zur Kleidung, vom Monument bis zur Nippesfigur wurden revolutionäre Zeichen appliziert. In Stoffe, Ornamente, Intarsien, Geschirr wurden die Zeichen hineingewebt. Die neuen Symbole sorgten für die Verbreitung der neuen Werte, erstmals konnten die Bürger am politischen Geschehen Anteil nehmen. Plakate, Affiches, unzählige Zeitschriften und Zeitungen, Karikaturen überfluteten die bis dahin vom politischen Geschehen mehr oder weniger ausgegrenzte Öffentlichkeit und motivierten die Bürger lesen zu lernen und Anteil am politischen Leben zu nehmen. Die Kokarde, in den Farben der Stadt Paris, blau und rot (später kam weiß, die Farbe des Königs dazu), wurde sehr schnell zum Erkennungszeichen. Nach dem Sturm auf die Bastille fand sie eine breite Anhängerschaft bei weiten Teilen der Bevölkerung, sie wurde zum Erkennungszeichen einer revolutionären Gesinnung.
Die Symbolsprache der Revolution griff auf antike, aber auch christliche Traditionen zurück. Die altrömische Republik bot sich den Republikanern als Ideal an, Rutenbündel (Zeichen der republikanischen Einheit und Strafgewalt), Eichenlaub (militärisches Ehrenzeichen), die phrygische Mütze (Sinnbild für Befreiung), wurden in die politische Zeichensprache übernommen.
Die französische Revolution bedeutete auch einen Einschnitt in die Geschichte des Körpers und die Wahrnehmung der Körpergrenzen. Die Antike, die das Ideal eines Körpers in geschlossenen Grenzen sieht, wird verherrlicht. Die Geschlechterdifferenz wird verwissenschaftlicht. Der männliche Körper erhält repräsentative Bedeutung als Verkörperung universeller, menschlicher Werte. Frauen werden aus der modernen Demokratie ausgeschlossen, sämtliche Gleichheitspostulate bleiben ungehört. Anstelle von Standesunterschieden wird im Übergang von der höfischen zur bürgerlichen Gesellschaft, Geschlechtsdifferenz zur grundlegenden gesellschaftlichen Differenz.

Selten trifft der Flaneur (die Flaneuse) auf Spuren der Frauen der Französischen Revolution im heutigen Paris, obwohl ein gewisses Bemühen in diese Richtung bemerkbar ist. Wurde Olympe de Gouges, wie bereits oben erwähnt, bis vor wenigen Jahren noch ignoriert, so gibt es heute einen Platz, der nach ihr benannt ist, eine Gedenktafel vor einer ihrer Wohnungen in der Rue Saint Honorè, Segolene Royal versprach sogar, wäre sie gewählt worden, sie pantheonisieren zu lassen. Es gibt Tafeln, die an die Häuser der Kindheit von Madame Roland und von Lucille Demoulins erinnern. Gibt man in eine der Suchmaschinen die Namen von Olympe de Gouges oder Madame Roland ein, findet man innerhalb weniger Sekunden bis zu 290000 Einträge, was Anlass zu der Hoffnung gibt, dass die Verdienste der Frauen nie wieder in Vergessenheit geraten können.
Das 18. Jahrhundert war durch die Ideen der Aufklärung, der Vernunft, sowie die Idee der Freiheit geprägt. Wie bereits Jules Michelet in „Die Frauen der Französischen Revolution“ bemerkte, fällt auf, wie sehr diese von Vernunft, Wissenschaft und Ratio bestimmte Gesellschaft aber auch von außerordentlicher Leidenschaft und Gefühl beherrscht wird. Michelet meinte, dass weder vorher noch nachher mehr geliebt wurde, man liebte die Freiheit, die Liebe, die Frauen, das Vaterland, die Menschheit. Michelet schlussfolgerte, dass Frauen zu dieser Zeit deshalb einen so großen Einfluss besaßen, weil sie durch die Intensität ihrer Gefühle, ihrer Leidenschaften und durch die Überlegenheit ihrer Initiative eine wichtige Rolle einnahmen. Er beschrieb Theroigne de Mèricourt als leidenschaftliche, heroische Schönheit, die im roten Seidenrock, mit großem Säbel auftrat, eine Königin von Saba, die zwischen Danton und Marat die Rednerbühne betrat und von ihnen forderte: „wenn ihr wirklich Salomone seid, müsst ihr es beweisen,, ihr müsst den Tempel bauen, den Tempel der Freiheit, den Palast der Nationalversammlung. Uns ihr müsst ihn auf dem Platz erbauen, wo die Bastille stand.“ ( Seite 100) Michelet beschrieb auch Madame de Condorcet, wie auch Madame Roland als Lichtgestalten, als Engel der Revolution, ebenso schön wie intelligent und außerdem moralisch untadelig, ihren Ehemännern treu dienende Ehefrauen. Olympe de Gouges hingegen kam bei Michelet nicht so gut weg. Er bezeichnete sie als Stegreifdichterin, des Lesens und Schreibens nicht mächtig und warf ihr Wankelmütigkeit in ihrer politischen Haltung vor, räumte aber ein, dass Frauen in der Öffentlichkeit viel mehr wagten, als Männer, insbesondere Olympe de Gouges. Selbst Louis Sebastien Mercier beschwor sie, sich etwas zurückzuhalten, da er die Gefahr ahnte, in die sie sich ständig begab. Olympe de Gouges gründete mehrere Frauenvereine, die teilweise großen Einfluss hatten. Der Konvent verbot den Frauen Versammlungen abzuhalten.

9
Jul
2008

...

9.7.2008

Nach dem gestrigen Absturz meiner Arbeit fragte ich mich, ob ich auf em falschen Weg und dieser Absturz ein Zeichen, ein Aufruf sei, innezuhalten und die Zeichen anders zu lesen. Im Folgenden werde ich versuchen, die Erkenntnisse, die ich aus Stierles „Mythos von Paris“ gewonnen habe, zusammenzufassen.

Rousseau meinte, dass Paris der Wahrnehmungsraum einer Intellktualität sei, die die Stadt aus einer bisher noch nicht wahrgenommenen Perspektive, aus einer Perspektive des Unverstandes erfassen solle. Erst die Lösung des Betrachters aus dem gesellschaftlichen Lebenszusammenhang ermögliche, die Stadt aus einem radikal fremden Blickwinkel zu betrachten. Mercier erkannte, dass Fremdheit eine Grunderfahrung in der Wahrnehmung der Stadt sei. Der Andere erscheint als der Fremde, als die fremde, aber lesbare Gestalt. An der Kleidung, an der Mode, an der Körperhaltung, am Gesichtsausdruck kann der erfahrene Zuschauer Berufe und Schiksale ablesen. Jedes noch so vernachlässigbare kleine Detail ist Zeichen für das Ganze, das Flüchtige enthält das Signifikante.
Einen neuen Diskurs der Stadt begründete Mercier, der der Gegenwart eine zukünftige Stadt gegenüberstellt. Er liest die Stadt als Ort der Widersprüche und Kontraste. Er sieht dorthin, wo der Blick, der in bürgerlichen Konventionen gefangen ist, nichts mehr wahrnimmt, er schaut auf das Verborgene, Verdeckte, Verdrängte. Mercier erforscht Berufsstände und Orte, wie Salzträger, Hundetöter, Lumpensammler, aber auch Zeitungsleser, Philosophen, Finaciers und betrachtet Orte wie Friedhöfe, Kloaken, Markthallen, sowie die Sorbonne, die Bastille, das Palais Royal. Aus diesen Gegensätzen, aus der Spannung kann der Beobachter die Spuren und Zeichen lesen und daraus eine „comedie humaine“ entwickeln. Mercier schaut vor sich auf den Boden, er ist ein „trouveur“ auf der Suche nach der „densité d`etre“. Für ihn, wie für Rousseau und Diderot ist Paris das Zentrum der modernen Welt, ein Ort an dem alle Widersprüche der gegenwärtigen Kultur verdichtet seien, ein Ort an dem alle Lebensprozesse in höchstem Maße beschleunigt seien, ein Ort höchster Steigerung des Bewusstseins, aber auch des Scheins und der Falschheit.
Für Mercier ist Paris eine anonyme Stadt, eine Stadt der großen Gegensätze, wo arm und reich aufeinanderprallen, wo Luxus und höchste Bedürftigkeit, Gegenwart und Zukunft einander überlagern. Der Leser der „tableaux de paris“ erfährt die Widersprüche, nimmt das Verdrängte wahr und beginnt das Ganze zu verstehen. Die Stadt als ein Ganzes von Geistesgenwart, Zerissenheit, Vernunft und Aberwitz, Hochherzigkeit und Niedertracht. Das Häßliche, das die Schönheit bereits in sich trägt, die Schichten von Erfahrung und Erinnerung,, die Spuren, die wie bei einem Palimpsest wenn nicht sichtbar, so doch vorhanden sind.

7
Jul
2008

7. Juli 2008

Den Duft von Paris nach über 30 Jahren wieder eingeatmet, tief in die Lungen eingesogen, der Geruch von Stein und frischem Brot!
Nach dem ersten gestrigen Rundgang habe ich den Eindruck gewonnen, die Stadt hätte sich kaum verändert, das wird wohl daran liegen, dass wir in den historischen Vierteln flanierten.

Da wir an einem Hinweisschild auf einen Wohnort von Madame de Gouges vorbeikamen, möchte ich zuerst auf selbige zurückkommen.
Olympe de Gouges sandte 1791 an die Nationalverfassung der konstitutionellen Monarchie einen radikalen Gegenentwurf einer Erklärung der Menschenrechte. Einer Erklärung, die erstmals von einer feministischen Perspektive betrachtet worden war. Sie fordert in ihrer "Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" gleiche Freuen-, Freiheits- und Verfassungsrechte. Sie verlangt eine wirklich neue, egalitäre Verfassung, die Frauen die gleichen Rechte wie Männern zugesteht. Selbst wenn man den zeitlichen Kontext außer Acht lässt handelt es hier um eine wahrhaft revolutionäre Forderung. Sie argumentierte, dass alle Macht den männlichen Bürgern vorbehalten seien, Frauen hingegen recht- und mittellos seien und folglich auch über keinerlei Machtmittel verfügten.
"Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. gleichermaßen muss ihr das Recht zugestanden werden, eine Rednerbühne zu besteigen...", eine Aussage von Olympe de Gouges, die sich in ihrem Fall nur auf den ersten Teil bezogen, bewahrheitete. Sie wurde am 3. November 1793 hingerichtet.
Selbst in revolutionären Kreisen empörte man sich über die unerhörten Ansprüche dieser Dame. Madame de Stäel verteidigte die gesellschaftlich weit verbreitete Meinung der Rolle der Frauen: " Man tut gut daran, die Frauen von den öffentlichen und bürgerlichen Rechten auszuschließen; nichts ist ihrer natürlichen Bestimmung entggen gesetzter als alles, was sie in den Zustand einer konkurrierenden Beziehung zu dn Männern brächte."
Olympe de Gouges war wie viele Menschen und vor allem Frauen aus nicht adligen sozialen Schichten kaum des Lesens und Schreibens kundig. Sie war Autodidaktin, lernte erst die französische Sprache als sie nach dem Tod ihres Mannes nach Paris übersiedelte. Bis dahin beherrschte sie nur den okzitanischen Dialekt ihrer Heimat. Sie schulte ihren Verstand an literarischen und politischen Schriften und begann selbst Theaterstücke zu schreiben, beziehungsweise ließ sie diese diktieren, da ihre eigenen Schreibkenntnisse mangelhaft waren. 1785 reichte sie ihr erstes Stück, "Zamore et Mirza", ein Stück über die Sklavenproblematik in den Kolonien bei der Comedie Francaise ein, das 1789 tatsächlich zur Aufführung kam und einen Skandal auslöste! Eine Schriftstellerin wagte sich mit einem politisch brisanten Thema in die Öffentlichkeit. Obwohl sie angefeindet und verleumdet wurde, schaffte sie es ihre Werke in drei Bänden herauszugeben. Sie verfasste politische Schriften, in welchen sie aktuelle, soziale Probleme aufgriff und Kontroversen des krisengeschüttelten Ancien Regime kritisierte. Sie schrieb Schmähschriften an Robespierre und Marat und rief die weibliche Bevölkerung zur Rettung des Vaterlands auf. Sie beobachtete und analysierte die turbulenten Begleiterscheinungen der Entstehung der konstitutionellen Monarchie, setzte sich intensiv mit den Missständen und Ungerechtigkeiten auseinander, forderte dass die Ehe abgeschafft werden solle, bzw. die Scheidung eingeführt werden solle. Sie war eine der ersten Theoretikerinnen, die sich Gedanken über Mutter- und Kinderschutz machten.Sie war der Überzeugung, dass ein friedliches Zusammenleben nur durch soziale Gerechtigkeit möglich sei.
Hannelore Schröder beschreibt in ihrer Arbeit "Olympe de Gouges, Mensch und Bürgerin. (Aachen 1995), ausführlich, dass die französische Regierung auch zweihundert Jahre nach der Ermordung von Olympe, Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihrer Rehabilitierung hegten. Der Präfekt von Paris verweigerte der Olympe de Gouges Stiftung noch 1997, am Todestag von de Gouges am Ort der Guillotine, Place de la Concorde, einen Kranz niederzulegen. Die Ermordete durfte damals noch nicht geehrt werden. Schröder erwähnt dabei, dass auf dem Briefkopf des Präfekten, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", stand!

30
Apr
2008

...

30.04.08
"Diese Unwirklichkeit, dieser Sog des Imaginären, der aus der unabhängigen Semiotisierung alles Erscheinenden hervorgeht, ist aber kein Mangel an Wirklichkeit, sondern eine Steigerung des Wirklichen zur Überwirklichkeit. Die Stadt, wie sie Paris verkörpert ist ein Ort des gesteigerten Bewusstseins."(Stierle, Der Mythos von Paris, s 37). Stierle beschreibt Paris als Stadt der Präsenz, als Ort, der durch Deutung der Zeichen bewusst wird. Aber auch als Schauplatz bewusst gesetzter Differenzen. Zeichen der Differenz seien zum Beispiel an der Mode ablesbar. Kleidung, Möbel, Luxusgegenstände, aber auch alltägliche Gebrauchsgegenstände, Architektur, Dichtung, Kunst sind alle der Mode unterworfen. Namen seien auch Zeichen der Differenz, sie erinnern an die Weltgeschichte, Heilsgeschichte, an Erfinder, Politiker, an Besitzverhältnisse, an Revolutionen. Während der Französischen Revolution wurden viele Namen verändert, damit alles Alte dem Vergessen anheim fallen solle und eine neue Zeit (buchstäblich, es wurde auch ein neuer Kalender eingeführt) beginnen möge. Denkmäler sind wichtige Orientierungszeichen, Schilder von Handwerkern, Plakate, Aushänge, Anschläge, hommes affiche. Mit der Revolution wird das Volk zum Lesen erzogen, es wird täglich mit neuen Verordnungen überschwemmt. Die sich rasch ändernde politische Wirklichkeit verlangt nach permanten Informationen.
Archtektur besteht mitunter aus sich überlagernden Baustilen, oder mehreren nebeneinander bestehenden Ornamenten, aus mehreren Schichten. Bruchstücke, Reste, Überlagerungen sprechen die Sprache der Vergangenheit.
Stierle geht sehr ausführlich auf Sebastien Mercier, der mich später zu Olympe de Gouges führen wird, und sein Werk "Tableau de Paris", ein. Merciers Geschichte der Stadt ist insofern von enormer Bedeutung, da er erstmals das hauptsächliche Augenmerk auf Dinge, Orte und Verhaltensweisen richtet, die bis dahin jenseits des öffentlichen Interesses gelegen hatten. Stierle meint, dass Mercier seinen Blick sowohl auf das Versteckte und Verdrängte, wie auch auf das allzu Offensichtliche, richtete.
Louis Sebastien Mercier war mit Olympe de Gouges über Jahre befreundet.
Olympe de Gouges wurde 1748 in Montauban, im Süden Frankreichs geboren, offiziell als Tochter von Anne-Olympe und Pierre Gouze. Offiziell deshalb, weil Olympe bereits in ihren ersten Schriften Andeutungen auf eine noblere Abstammung macht, möglicherweise war sie wirklich die Tochter des Marquis de Pompignan. Jedenfalls war sie eine der schillernsten Persönlichkeiten jener Zeit, um die sich viele Gerüchte und Legenden bildeten.
Mit ihrer "Declaration des droits de la femme et de la citoyenne" antwortet sie auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die ausschließlich auf den Mann bezogen waren und fordert dieselben Rechte für Frauen ein.
Sie kämpft für Freiheit und Gleichheit und ruft die Frauen zum Erwachen aus ihrer Lethargie auf: "Femmes! Femmes, quand cesserez-vous d´etre aveugles?" Sie fordert die völlige bürgerliche und politische Gleichberechtigung der Frau, so das Wahlrecht, den freien Zugang zu öffentlichen Ämtern, die Möglichkeiten zur Partizipation am politischen Leben und am Militärdienst.
Sie erkennt, schmerzhaft an der eigenen Person, dass finanzielle Unabhängigkeit
die Grundlage einer realen Autonomie für die Frau ist.

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26
Apr
2008

24.04.2008

In der "Österreichischen Zeitschrift für Geschichtswissenschaften" 12. Jg. Heft 3/2001 fand ich einen Artikel von Detlev Ipsen, Raumzeichen - Raumsymbole. Ipsen meint, dass Zeichen und Symbole immer bedeutsam für Macht und Herrschaft seien, sowie für die Strukturierung des Raumes wichtig seien. Sobald sich Individuen und soziale Gruppen von anderen unterscheiden möchten, ändern sich Zeichen und ihre Bedeutung.
Die breiten Boulevards in Paris, die Schneisen durch das mittelalterliche Paris gezogen haben, hätten einen Bedeutungstransfer eingeleitet. Bis dahin war Paris eine mittelalterliche Stadt, mit Stadtmauern, Kirchtürmen, Toren und Patrizierhäusern. Plötzlich wird die Idee des Gartens, der in klare Achsen gegliedert ist, zum Symbol der modernen Stadt. Haussmann übernahm die übersichtliche Raumordnung der adeligen Parks und erschuf ein neues, modernes Paris mit seinen Boulevards, Passagen, Arkaden, öffentlichen Toiletten, Schulhäusern etc. Ipsen erwähnt dass der Eiffelturm lange Zeit auf Ablehnung großer Teile der Bevölkerung stieß und zieht daraus den Schluss, dass neue Zeichen sich in das bestehende Ordnungsmuster einfügen können müssen, denn die Beziehung des Menschen zu Orientierungsmustern seien stark und konservativ. Jede Änderung der Zeichen weise gleichzeitig auf Risse in der gesellschaftlichen Ordnung hin. Modernisierungen von Gesellschaften sind immer von Änderungen der Zeichen begleitet. Der Kapitalismus verändere alle Aspekte des Lebens durch technische und organisatorische Erneuerungen, nicht nur die Ökonomie, sondern auch die Klassenverhältnisse, Lebensstile, sowie die kulturellen Deutungsmuster und Darstellungsformen. Während dieses Wandels verändern sich auch die Zeichen und deren Bedeutungen, um deren Verankerung ein regelrechter Kampf entsteht.
Karlheinz Stierle bezeichnet Paris in "Der Mythos von Paris, Zeichen und Bewußtsein der Stadt" (München 1998), als Hauptstadt der Zeichen, als einer Stadt der Präsenz, eines Ortes des Wunderbaren, Erstaunlichem und Erschreckendem. "Die Unwirklichkeit, dieser Sog des Imaginären, der aus der unablässigen Semiotisierung alles Erscheinenden hervorgeht, ist aber kein Mangel an Wirklichkeit, sondern eine Steigerung des Wirklichen zur Überwirklichkeit. Die Stadt, wie sie Paris verkörpert, ist ein Ort des gesteigerten Bewusstseins."
Die Stadt als Schauplatz bewusst gesetzter Differenzen, als semiotischer Raum erzeuge eine Distanz, das einzelne wird zum Zeichen,durch Deutung der Zeichen erhalten wir ein Bewusstsein der Stadt.

5
Apr
2008

5.April 08

Der zweite Eintrag ist schwieriger als der erste, da die zu schnell auf den Semesterbeginn folgenden Osterferien, den Schwung abrupt gestoppt haben und sich die Literatursuche als schwieriger gestaltet hat, als ursprünglich angenommen.
Das Problem war der Anfang, womit sollte ich beginnen? Stierle war in der Bibliothek nicht auffindbar, Biografien über Olympe de Gouges und Christine de Pizan waren ausgeliehen. Das Buch von der Stadt der Frauen eignete sich für den Beginn nicht. Die Lektüre Hazan`s ist ungemein interssant und anregend, gleichzeitig aber auch entmutigend in Bezug auf die eigene Arbeit.
Mittlerweile fand ich eine Monografie Christine de Pizan`s von Margarete Zimmermann und ich denke damit zu beginnen, Orte, die für das Leben von Christine von Bedeutung waren, aufzuspüren und zu beschreiben.
Christine de Pizan ist eine herausragende Persönlichkeit, vielleicht eine der ersten "Feministinnen" der Geschichte, eine hochpolitische, intellektuelle Autorin, Verlegerin und Buch-Macherin und wie Margarete Zimmermann meint, eine der ersten Repräsentantinnen "einer modern anmutenden weiblichen Existenz" im nahezu ausschließlichen männlichen Mittelalter.
Christine wurde um 1364 in Venedig als Tochter von Tommaso Benvenuto, Astrologe und Arzt, der später an den Hof König Karl V. gerufen wird, geboren. Christine verbringt ihre ersten Lebenjahre mit ihrer Mutter in Bologna, erst auf Drängen des Königs läßt Tommaso Benvenuto, der sich in Paris de Pizan nennt, seine Frau und Tochter nachkommen. Christine verbringt ihre Jugend im Umkreis von Karl V., der für sie lebenslang der ideale Herrscher bleiben wird, und dessen Biographie sie Jahre nach seinem Tod verfassen wird. Unter anderem lobt sie Karl V. als "wahren Baumeister". König Karl V. ließ neben seinem Stadtpalais Saint-Paul eine Kirche für den Coelestiner-Orden errichten, den Zwinger von Vincennes, die Bastille und den Louvre läßt er ausbauen und verschönern ( diese Orte könnten möglicherweise Eckpunkte meines Themenparcours werden, vorläufig möchte ich aber bei Christine bleiben, bevor ich diesbezügliche Nachforschungen anstellen werde).
Sie beschreibt ihre Jugend als glücklich und sorglos. Sie verehrte ihren Vater sehr, der die intellektuellen Fähigkeiten seiner Tochter wenn auch nicht aktiv fördert, so doch nicht zu unterbinden versucht. Im "Buch von der Fortuna" bedauerte Christine, dass Mädchen aufgrund ihres Geschlechtes von Bildung so gut wie ausgeschlossen waren. Sie lernte vieles von ihrem Vater und wollte ihm nacheifern, doch die Möglichkeit Wissen zu erwerben war für Mädchen nicht vorgesehen, was sie zutiefst bedauerte und anprangerte.
Im Alter von vierzehn oder fünfzehn Jahren wurde sie mit dem königlichen Notar und Sekretär Etienne de Castel verheiratet. Für Christine stellt die Ehe die ideale Lebensform für Männer und Frauen dar, vorausgesetzt, der Mann sei gütig, klug, treu und zärtlich. Sie meinte, dass Ehe und Liebe miteinander vereinbar seien, offenbar ist ihr dieses Glück zuteil geworden.
Nach dem Tod Karl V. ändert sich die politische Situation in Frankreich, die Zeit des Wohlstands und Friedens geht ihrem Ende zu und weicht einer "Epoche der Schwäche, die sich ihrem Ende zuneigt" (Eustache Deschamps).
Nach dem Tod Karl V. verschlechtert sich die Situation der Familie Pizan. Materielle Zuwendungen versiegen, die ehemaligen Günstlinge des Hofes können sich der Neider und Feinde nicht mehr erwehren. Etienne de Castel und der Vater sterben, die Brüder kehren nach Italien zurück. Christine bleibt auf sich allein gestellt zurück und muss für ihre drei Kinder und ihre Mutter sorgen. Üblicherweise wurden Witwen möglichst schnell wiederverheiratet, wenn das nicht möglich war, erwartete man von Witwen, dass sie zurückgezogen lebten und sich bestenfalls karitativen Aufgaben widmeten. Christine fand Arbeit als Kopistin in der Buchherstellung. In späteren Werken beschrieb sie die furchtbare Zeit der finanziellen Schwierigkeiten, die Angst vor sozialem Abstieg, die Probleme, die man ihr als Frau bereitete. Sie beklagte die Rechtlosigkeit und Ohnmacht von Witwen, deckte die Missstände auf. Bereits in ihren ersten Gedichten übt sie Sozialkritik und wirft dem Adel mangelnde Einhaltung seiner Schutzpflicht vor. Ab ungefähr 1394 begann sie zu schreiben. Sie bildete sich autodidaktisch. Sie meinte, dass nur ihr Leben als Witwe es ihr ermöglicht hätte, sich eine Existenz als Intellektuelle aufzubauen, da die Verpflichtungen als Hausfrau, Ehefrau und Mutter ihr ein Selbststudium verunmöglicht hätten. Margarete Zimmermann meint, dass Christine de Pizan mit ihrer neuen Existenz als Intellektuelle eine neue Geschlechterrolle übernahm. Pizan selbst beschrieb einen Wechsel von einer "weiblichen" Existenzform in eine "männliche", der ihr das Überleben in der 'Gesellschaft ihrer Zeit ermöglicht hätte.
Um 1400 entwickelte sich in Paris, möglicherweise als Reaktion auf die allgegenwärtige Bedrohung, eine Zeit des außerordentlichen Raffinements der Lebensführung. Paris wurde zum Zentrum der nouvelle facon", üppige Feste, dekadente Gelage, Maskeraden und Travestien erfreuen sich größter Beliebtheit, eine neue Mode entsteht. Die Erfindung von weiblichen und männlichen Körpern ist an der Mode mit ihren geschlechtlichen Zuschreibungen und Betonungen abzulesen.
Christine de Pizan veröffentlicht das "Buch vom Frieden'", das zu einer dauerhaften Befriedung beitragen soll. Tatsächlich kommt es nach der Ermordung des Herzog Ludwig von Orleans durch Johann Ohnefurcht zu bürgerkriegsartigen Ausschreitungen. Frankreich gerät zunehmend unter engliche Herrschaft, da Johann Ohnefurcht mit den Engländern paktiert. Der Graf von Armagnac wird zum Herrscher über Paris und übt eine Terrorherrschaft aus, was die Bevölkerung von Paris dazu bewegt, die Stadt 1418 den Anhängern Ohnefurchts zu öffnen. Ein furchtbares Massaker ist die Folge, die Armagnacen werden abgeschlachtet.
Das letzte Gedicht Christine`s ist eine Hommage an Johanna von Orleans. Die "Stadt der Frauen" ist vielleicht die erste Antwort auf den Rosenroman, der als Auftakt der "Querelle de femmes" gilt. Christine ist die erste Frau, die an der "Querelle" mitschreibt. Zimmermann meint, dass die Stadt der Frauen, "Cite des Demes", Utopie und Gedächtnisort sei, eine Gegenkonzeption von Weiblichkeit, als Antwort auf den Rosenroman. Eine ideale, imaginierte Stadt, ein befestigter Zufluchtsort für Frauen, mit den realen architektonischen Merkmalen einer mittelalterlichen Stadt, die der Verräumlichung eines geschlechtspezifischen kulturellen Gedächtnisses dient.
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